Petrus und Paulus Gal 2,11-21

Dialogpredigt am 27.01.2018
zur Einführung von Martin Tontsch als Referent der Arbeitsstelle kokon
von Pfarrerin Claudia Kuchenbauer und Pfarrer Martin Tontsch

 

Lesung Jesaja
Hört Friedensvisionen des Propheten Jesaja:
2,2 Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des HERRN Haus ist, feststehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben.
2,4 Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.
11,6 Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben.


CK: Das sind kraftvolle Visionen. „Schwerter zu Pflugscharen“ – dieses Bild ist das Herz der Friedens­bewegung der 80er Jahre. Diese Vision hat ausgestrahlt in die ganze Gesellschaft und die Menschen auf die Straßen gebracht.

MT: Aber nicht nur damals! Ich erinnere mich noch gut, als ich die friedliche Revolution 1989 im Reli­gionsunterricht 9. Klasse Hauptschule behandelt habe, mit den friedlichen Demonstrationen vor der Leipziger Nikolaikirche und der Macht von Kerzen und Gebeten gegen die hochgerüsteten Stasi-Einheiten. Mehrere Schüler haben mir danach erzählt, wie tief beeindruckt sie das hat, was man durch Gewaltlosigkeit erreichen kann.

CK: Ja, ich bin dankbar, dass unsere Heilige Schrift dieser Friedenssehnsucht einen breiten Raum gibt, denn sie ist ja in uns. Und dass sie sich umsetzen lässt, handfest in unserer Geschichte, das weckt Hoffnung. Das bedeutet ja, dass sich auch heute Menschen davon anstecken lassen und sich wirksam einmischen können in diese ganzen Wahnsinn, der gerade stattfindet: in Afrin sehen wir gerade eine ganz neue Front im syrischen Bürgerkrieg aufbrechen. Deutsche Panzer rollen gegen Kurden; dabei waren die gerade noch Verbündete im Kampf gegen den IS! Und das ist nur eines von vielen brand­aktuellen Beispielen für die irre Gewalt in unserer Welt. Militärisch kann man in solche Situationen doch maximal mit dem Recht des Stärkeren kurzfristig Recht bekommen; und meistens verlieren dann alle dabei. Wer Frieden will, muss den Frieden vorbereiten und nicht den Krieg.

MT: Ja, gut ist das. Und es ist eine wichtige Aufgabe der Kirche, immer wieder darauf hinzuwirken, dass alle Möglichkeiten eines friedlichen Miteinanders wirklich ausgeschöpft werden. Zeugen von Gottes Frieden zu sein und für gerechten Frieden einzutreten.

CK: Was findest Du, wie kriegen wir das in unserem Miteinander in der Kirche hin? Können Christen anders streiten?

MT: Hm. Na ja, Panzer rollen nicht. … In den Glaubenskriegen früherer Zeiten gab es ja noch keine …

CK: Aber ordentlich gekracht hat es schon im Neuen Testament. Paulus beschreibt ja selbst in seinem Brief an die Galater, wie er mit Petrus aneinandergeraten ist. Damals ging es um das Miteinander von Christen, die vorher Juden - und Christen, die vorher anderen Religionen angehört waren. Die einen hielten sich an die jüdischen Speiseregeln, die anderen eben nicht. Christen kennen keine Speise­regeln. So. Und jetzt hat Petrus in Antiochia zuerst mit den Heidenchristen alles Mögliche gegessen, dann kamen die hohen Mitapostel aus Jerusalem, und schon war´s vorbei mit der fröhlichen Tisch­gemeinschaft und Petrus und Barnabas haben sich wieder den Speiseregeln unterworfen. Da ging dem Paulus die Hutschnur hoch:

Lesung Galater 2,11-21
11 Als aber Petrus nach Antiochia kam, widerstand ich ihm ins Angesicht, denn er hatte sich ins Unrecht gesetzt. 12 Denn bevor einige von Jakobus kamen, aß er mit den Heiden; als sie aber kamen, zog er sich zurück und sonderte sich ab, weil er die aus der Beschneidung fürch­tete. 13 Und mit ihm heuchelten auch die andern Juden, sodass selbst Barnabas verführt wurde, mit ihnen zu heucheln. 14 Als ich aber sah, dass sie nicht richtig handelten nach der Wahrheit des Evangeliums, sprach ich zu Kephas öffentlich vor allen: Wenn du, der du ein Jude bist, heidnisch lebst und nicht jüdisch, warum zwingst du dann die Heiden, jüdisch zu leben?

MT: Ganz schön heftig, wie die da aneinander geraten sind! Wie die Löwen auf unserer Einladung Worte wie „Unrecht“ und „Heuchler“ sind ja schon Eskalationsstufe Fünf bei Fritz Glasl.

Um was ging es eigentlich inhaltlich? Über Essen kann man sich heute ja auch noch trefflich streiten: Bio oder nicht, Fleisch oder Gemüse, Weizen oder Dinkel, …?

Aber es ging noch um etwas anderes: Um Freiheit und um Zwang. Paulus wirft Petrus vor, er würde aus Angst vor einem Konflikt mit den Judenchristen nicht mehr zusammen mit den Heidenchristen essen, und damit zum einen heucheln – denn er hatte es sonst ja getan – und zum anderen moralischen Druck ausüben und „die Heiden zu zwingen, jüdisch zu leben“. Und das passt eben gar nicht zu der Freiheit eines Christenmenschen, die Paulus predigt!

CK: Ja, offensichtlich sieht Paulus das so. Und seine Empörung darüber ist heute noch zu hören. Und seine Überzeugung, dass er Recht hat und Petrus unmöglich ist. Das wird Dir in unserer Arbeit oft begegnen. So sprechen Menschen in einem Konflikt, empört über einen anderen. Und ich weiß auch, da gibt es immer die andere Seite. Und frage: Wollte Petrus das wirklich? Vielleicht ist seine Sicht ganz anders. Vielleicht hat er eben Rücksicht genommen auf die, die noch nicht so weit waren und Schwierigkeiten hatten mit dem Gedanken, dass die 630 Regeln, die sie von Kindesbeinen auf gelernt hatten, auf einmal nicht mehr gelten sollen. Jeder von uns weiß doch, wie schwer es fällt, Gewohn­heiten abzulegen. Ich glaube, Petrus war ein vermittelnder Mensch, der Verständnis hatte für Menschen, die sich nicht so leicht umstellen können. Vielleicht war er näher an den anderen dran, und deshalb war sein Weg ein langsamerer, um sie für die Wahrheit zu gewinnen. Du kennst doch das Sprichwort: „Man soll dem andern die Wahrheit nicht wie einen nassen Waschlappen um die Ohren hauen, sondern wie einen Mantel hinhalten.“

MT: Er hatte ja auch an sich selbst erlebt, wie es ist, schwach zu sein. Ich glaube, dass er bei jedem Krähen eines Hahns daran denken musste, wie er Jesus verraten hatte. Und dass er zutiefst dankbar war, dass er gnädig war und trotzdem auf ihn vertraut hat. Das hat ihn selbst gnädig ge­stimmt gegenüber denen, die alte Regeln für wichtig hielten, die er innerlich schon überwunden hatte.

CK: Und für Paulus war so ein alltagstauglicher Kompromiss Heuche­lei. Er war der Hundertprozen­tige: Erst 100% Christenverfol­ger, dann die große Bekehrung bei Damaskus und dann 100% für Christus. Es gab für ihn eine richtige Lösung, dazwischen gab es für ihn nicht viel.

MT: Ganz unterschiedliche Typen, geprägt durch ihre Lebens- und Glaubensgeschichte. Der integrie­rende Petrus und der pointierende Paulus.

Was bist Du eigentlich für ein Typ: Petrus oder Paulus?

CK: Als Mediatorin ist meine Aufgabe, Menschen zu verstehen und ihnen ihren Raum zu geben. Ich bin überzeugt, dass auch bei einem Streit erst im gegenseitigen Kontakt verstanden werden kann, was den andere wirklich bewegt. Da kann und will ich nicht urteilen.

Aber als deutsche Bürgerin und als Christin habe ich natürlich eine eindeutige Meinung, die ich als richtig vertrete, z.B. in der Flüchtlingsfrage. Da widerstehe ich Menschen auch ins Angesicht, so wie Paulus. Und du?

MT: Ich glaube, meine Petrus-Seite ist recht ausgeprägt. Ich habe ein tiefes Verständnis dafür, dass die eigene Sichtweise geprägt ist von Erfahrungen der Vergangenheit – und dass die unterschiedlich sind. Immer, wenn ich mit einer klaren Meinung konfrontiert bin, gibt es eine Stimme in meinem Kopf: „Für die Antithese gibt es aber auch gute Argumente!“  Das hilft enorm dabei, Menschen ins Gespräch zu bringen und zwischen ihnen zu vermitteln. In dieser Geschichte aus Antiochia ist mir Petrus sympathischer. Gott sei Dank gibt aber auch eine Menge Paulus-Typen in unserer Kirche. Als Salz in der Suppe, für das Profil unserer Kirche brauchen wir sie dringend!

CK: Besonders in der politischen Friedensarbeit brauchen wir auch die Paulus-Typen, die laut Unrecht anprangern. Wie Jürgen Grässlin von der Aktion Aufschrei!, der mit seiner Recherche den G36 Waf­fendeal mit Mexiko aufgedeckt hat. Oder die vielen im Verein für Friedensarbeit in der EKD, die sich für Frieden bemerkbar machen. Ganz aktuell hat der Herr Untch, der heute auch hier ist, eine Vorlage erarbeitet, damit die Mitglieder die Bundestagsabgeordneten per Brief auffordern können, bei den Koalitionsverhandlungen die Forderung der NATO nach einer Erhöhung des Verteidigungs­haushaltes abzulehnen und stattdessen zivilen Strategien der Prävention und Konfliktbearbeitung den Vorrang zu geben. Da konnte ich mich für die Arbeitsstelle kokon auch anschließen.

MT: Man muss auch streitbar sein, wenn man sich für Frieden einsetzt. Das führt uns zu unserer alten Frage: Können Christen anders streiten? Vielleicht sogar besser?

CK: Schwierige Frage. Mancher würde vielleicht sogar sagen: In der Kirche sollte man überhaupt nicht streiten!

MT: Also ich finde es sehr ehrlich, dass der Streit zwischen Petrus und Paulus im Neuen Testament steht. Dass sie nicht so getan haben, als hätte sie sich immer nur lieb gehabt. Das macht Mut zur Ehrlichkeit: Streit gibt es überall, auch in der Kirche solange, bis der Messias sein Friedensreich endgültig aufgerichtet hat. Die Frage ist: Wie man streitet.

CK: Bei dem ganzen Streit waren sich Petrus und Paulus doch immer bewusst, dass sie im Namen einer gemeinsamen Sache, im Namen des Herrn unterwegs sind. Jeder auf seine Weise. Petrus und Paulus mögen gebrüllt haben wie die Löwen –zerfleischt haben sie sich nicht.

MT: Und sie glauben an einen Gott, der im tiefsten seines Wesens von Liebe geprägt ist. Nicht an den Todesgott aus „Games of Thrones“, nicht an die Erschaffung der Welt aus Gewalt wie in den babylo­nischen Mythen. Sie haben das Weltbild des Neuen Testaments, in dem der Grund der Welt Ge­rechtigkeit, Liebe und Frieden sind. Streit und Gewalt gibt es in dieser Perspektive immer noch, alles andere wäre weltfremd. Aber sie sind ein Scheitern, ein Zurückbleiben hinter dem, um was es geht.

CK: So konnte der Ökumenische Weltrat der Kirchen 1948 formulieren: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“

MT: Und doch wussten sie, dass damit noch nicht alles gesagt ist. Dass verantwortlicher Umgang mit Konflikten ein genaues Hinschauen erfordert, intensive Gespräche über die jeweiligen Perspektiven und Bedürfnisse und Demut mit Blick auf die eigene Einsicht, wenn es um die angeblich eine richtige Lösung geht.

CK: Das wusste auch der „Hardliner“ Paulus, wenn er im Ersten Korintherbrief schreibt, dass all sein Wissen Stückwerk ist und er erst, wenn er bei Christus ist, wirklich erkennen wird. Paulus hat gewusst, dass nicht wir das letzte Wort haben.

MT: Ich denke, das unterscheidet den Apostel Paulus von anderen Radikalen: Dass er sich bei aller Hart­näckigkeit im Konkreten darin nicht festbeißt. Er weiß, dass es um etwas viel Größeres geht: Um Glaube, Hoffnung und Liebe. Und das öffnet den Horizont. Wer so einen Horizont hat, der kann auch anders, konstruktiv streiten. Ich würde sagen: Das singen wir jetzt mit dem Lied „Weil der Friede bei uns wohnt.“

CK: Aber vorher kommt noch der Kanzelsegen, der ist ja auch von Paulus und passt heute besonders gut!

MT: Genau: „Und der Friede Gottes, welcher höher ist, denn alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christo Jesu.“

CK: Amen