Predigt von Claudia Kuchenbauer

Predigt von Frau Pfarrerin Claudia Kuchenbauer, gehalten am 05.07.2015 in der Gnadenkirche in Dachau und in der St. Margarethenkapelle in Röhrmoos

 

Kanzelgruß: Gnade sei mit uns und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Gemeinde: Amen.

Den Predigttext kennen Sie schon. Es ist die Jahreslosung 2015 „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.“ (Röm 15,7)

Herr segne unser Reden und Hören. Gemeinde: Amen.

 

Liebe Gemeinde, ich erzähle Ihnen in dieser Predigt drei Geschichten.

Erste Geschichte. Es ist schon einige Jahre her, da war ich mit Freunden in einem Restaurant zum Essen. Mir ist der Abend in Erinnerung geblieben, denn am Nachbartisch fiel mir ein Pärchen auf, genauer gesagt: die Frau fiel mir auf; sie saß in meiner Blickrichtung. Auf den ersten Blick war mir klar, dass sie eine ganz blöde Kuh sein musste. Wie sie sich bewegte - ganz affektiert, wie sie redete - andauernd, und mit einer unangenehmen Stimme. Und wie sie angezogen und geschminkt war – dazu muss ich nichts mehr sagen, oder? Im Laufe des Abends sah ich immer wieder hin und mein Urteil wurde bestätigt: eine unmögliche Person. Als das Paar bezahlt hatte, stand der Mann auf und holte die Mäntel. Ich guckte wieder zu ihr hin, da blickte sie auf – und lächelte mich an. Ganz nett, ganz strahlend, wie jemand, der gerade einen schönen Abend verbringt und sich darüber freut. Da fand ich sie auf einmal gar nicht mehr so unmöglich. Ihre Schminke war mir egal und ihre Stimme, naja, so schlimm war sie auch nicht. Von einem Moment zum anderen war sie zu einer liebenswerten Person geworden – und ich fühlte mich ziemlich unmöglich. Deshalb ist mir dieser Abend im Gedächtnis geblieben.

Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.“

Warum erzähle ich Ihnen eine so unschmeichelhafte Geschichte über mich? Sie kennen mich nicht und denken nun vielleicht schlecht von mir. Das riskiere ich, denn ich glaube, dass man die Jahreslosung nicht verstehen kann, solange man sich selbst schmeichelt. Natürlich will man sich bei der ersten Begegnung in seinem besten Licht zeigen. Aber im besten Licht betrachtet kann man jeden annehmen. Die abgründigen Seiten, die schwierigen und finsteren, die anzunehmen fällt schwer, auch bei einem selbst. Christus hat uns angenommen, mit all unseren abgründigen Seiten für die wir uns manchmal schämen und manchmal nicht einmal das. Das ist Grund zum Jubel und zur Dankbarkeit, denn verdient habe ich es nicht, aber ich habe es nötig.

Ich habe beruflich ja mit Konflikten im Bereich der Kirche zu tun. Sie können sich vorstellen, dass es Menschen in Konflikten noch viel schwerer fällt, ihr Gegenüber anzunehmen. Da kennt man so viele Gründe, warum ausgerechnet dieser Mensch nicht verdient hat, angenommen zu werden. Ich höre viele Geschichten davon, wie Menschen darunter leiden, wie andere sich verhalten. Und das ist echtes, schmerzhaftes Leid, denn Konflikte entstehen dort, wo die Bedürfnisse nicht erfüllt werden, wo ein Mensch, nicht bekommt, was er braucht. Das tut weh.

Zweite Geschichte. Ein Rabbi hatte in seiner Gemeinde einmal dieselbe Aufgabe wie ich. Da kam ein Mann und beschwerte sich über seinen Nachbarn. Der Rabbi hört sich die Sache an und sagt: „Du hast Recht.“ Zufrieden ging der Mann nach Hause. Kurz danach kam der Nachbar und klagte seinerseits über die Ungerechtigkeit, die ihm von dem anderen angetan worden sei. Der Rabbi hört sich die Sache an und sagt: „Du hast Recht.“ Der Nachbar geht zufrieden nach Hause. Die Frau des Rabbi, die alles mitbekommen hatte, sagt nun zu ihrem Mann: „Das geht doch nicht. Du kannst doch nicht beiden Recht geben.“ Darauf der Rabbi: „Da hast du auch wieder Recht.“

In einem Streit haben, für sich betrachtet, meist alle recht. Sie haben recht darin, dass es ihnen nicht gut geht. Ihre Gefühle sind verletzt, etwas wurde ihnen weggenommen, sie haben Angst. Aber sie sehen nur sich selbst. Und das ist das Problem. Ein bekannter Mediator aus USA hat das die „Konfliktfalle“ genannt. In einem Streit bekommt man einen Tunnelblick. Man glaubt zwei Dinge. 1. Ich will doch nur das Gute. 2. Der andere will mich ärgern, schädigen, ich bin ihm egal.

Das denken alle beide voneinander. Kein Wunder, dass man nicht mehr vernünftig miteinander reden kann.

Wie kann man aus dieser Falle aussteigen? Am besten, man spricht miteinander und versucht, diese zwei Gedanken auf den Kopf zu stellen. Aus 1. Ich will doch nur das Gute. Wird: Der andere hat auch eine gute Absicht.

Aus 2. Der andere will mich ärgern, schädigen, ich bin ihm egal. Wird: Das, was ich tue, kommt irgendwie bei meinem Gegenüber als ärgerlich, schädlich, unverständlich an. Ich muss ihm erklären, dass ich´s nicht so meine.

Wenn das gelingt, kann man vielleicht feststellen, dass man miteinander im gleichen Boot sitzt und ein gemeinsames Problem hat. Dafür kann man dann gemeinsam eine Lösung suchen.

Die Geschichte aus der Lesung mag das veranschaulichen. Dritte Geschichte. Ich drehe die Uhr zurück in die Zeit um 35 nach Christus. In wenigen Worten wird uns ein großer Konflikt geschildert. In der ersten Gemeinde in Jerusalem war nach Pfingsten die Gemeinde stark gewachsen. Dazu muss man wissen, dass es zwei große Gruppen in der Jerusalemer Gemeinde gab. Die meisten Mitglieder beider Gruppen waren früher Juden und haben sich als Christen taufen lassen.

Aber die einen stammten aus der Gegend um Jerusalem, wie die Jünger. Sie sprachen aramäisch wie Jesus, haben Jesus vielleicht noch persönlich gekannt. Die Gemeindeleiter Petrus, Jakobus und Johannes gehörten zu dieser Gruppe von einheimischen Christen.

Die anderen waren griechische Christen, das bedeutet, sie stammten ursprünglich nicht aus Palästina, sondern aus benachbarten Ländern des römischen Reichs. Ihre Muttersprache war griechisch, und sie haben sich in Jerusalem niedergelassen und eine neue Heimat gefunden. Oft waren es Geschäftsleute. Diese zwei großen Gruppen prägten die christliche Urgemeinde. Nun ist etwas Verstörendes passiert. Bei der täglichen Essensversorgung für Bedürftige wurden die Witwen der griechischen Christen längere Zeit nicht versorgt. Sie haben einfach nichts bekommen und mussten hungern, denn eine Versorgung vom Staat z.B. gab es ja nicht. Was denken Sie, haben die wohl voneinander gedacht? Ich glaube, die Mitglieder der einen Gruppe, der griechisch sprachigen Christen, könnten so gedacht haben: „Aha, da sieht man es. Unsere Witwen sind den Gemeindeleitern eben doch nicht so viel wert. Da wird mit zweierlei Maß gemessen.“ Und die anderen, die Gemeindeleiter Johannes, Petrus und Jakobus, haben wahrscheinlich gedacht: „So viele neue Gemeindemitglieder, wir wissen gar nicht, wo uns der Kopf steht vor lauter Predigen und Taufen und Abendmahl. Und jetzt auch noch so eine Beschwerde wegen der Hausversorgung. Was ist da bloß wieder schief gelaufen? Da kann sich doch jemand anders drum kümmern.“ Und beide Seiten hatten Recht.

Aus dieser Situation hätte ein schlimmer Streit entstehen können. Ein Streit darüber, wer mehr wert ist, welche Gruppe das Sagen in der Gemeinde hat. In dieser Situation hätte die junge Gemeinde sich spalten können. Ich glaube, dass es in diesem Konflikt um die Integration von anders Sprechenden, um Gleichberechtigung und um die Überzeugung, dass in Christus alle ein Leib sind, was Paulus erst später im Brief an die Korinther nieder geschrieben hat, ging. Und diese Überzeugung hat eine erste Bewährungsprobe bestanden. Das Ergebnis ist, dass wir heute als Christen hiersitzen.

Wie konnte der Konflikt gelöst werden? Die Gemeindeleiter haben alle Gemeindemitglieder zusammengerufen, denn man kann Konflikte nur dann gut regeln, wenn man miteinander ins Gespräch kommt. Dann wurde nichts beschönigt, jeder brachte sein Leid vor und seine Situation. Es wurde auch niemand beschuldigt, auch wenn die einen vielleicht geglaubt haben, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Die waren sicher sehr misstrauisch und wachsam. Die Gemeindeleiter haben zugegeben, dass sie mit der Essensverteilung überfordert sind, weil die Gemeinde so stark angewachsen ist. So war die Lösung möglich. Die Gemeindeleiter haben zu ihrer Entlastung Zuständige für die diakonischen Aufgaben in der Gemeinde wählen lassen. Alle Namen der gewählten Brüder, die ersten Diakone, sind griechisch. Zwischen den Zeilen kann man also lesen, dass hier ein Zeichen der Gleichberechtigung gegeben wurde. Eine gute Lösung baut darauf, jedem Beteiligten zu ermöglichen, was er braucht. In diesem Fall: Essen für die Witwen, Gleichberechtigung für die griechischen Christen, Entlastung für die Gemeindeleiter. Eine perfekte Lösung, die jeden zufrieden stellt, weil die Beteiligten sich und ihre gegenseitigen Bedürfnisse gehört und sich ihrer angenommen haben.

Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat – zu Gottes Lob. Der letzte Satz in der Geschichte lautet: Und die Gemeinde Gottes wuchs und wurde zahlreich.

Wie wir mit unseren Konflikten umgehen, ist ein starkes Signal nach außen. Sind wir voller Vorwürfe, fühlen wir uns nur ungerecht behandelt und suchen wir die Schuld nur beim anderen? Das wird keine große Anziehungskraft auf andere haben. Oder können Christen wirklich anders streiten? Mit gegenseitigem Respekt, auf der Suche nach dem gemeinsamen Problem, ohne Vorwürfe und einseitige Beschuldigungen, im Bewusstsein: Wir haben es doch auch nötig, dass Christus uns annimmt mit den Abgründen unserer Seele. Das wäre doch ein Aushängeschild.

Und die wichtigste Geschichte, die können Sie erzählen. Denn neben diesen abgründigen Seiten sind wir auch alle Geschöpfe Gottes mit wunderbaren Eigenschaften und Talenten. Die letzte Geschichte handelt von Ihnen. Sicher haben Sie in Ihrer Erinnerung Erlebnisse, bei denen Sie ganz deutlich gemerkt haben: Ich bin begabt, liebenswert, es ist wichtig, dass es mich gibt.

Ich weiß, wir haben gelernt, dass man sich nicht loben soll. Aber Gott braucht Kinder auf der Welt, die wunderbar und großartig sind, und das sind wir alle auch. Erinnern Sie sich an eine oder mehrere Geschichten, wo Sie das gespürt haben. Als Sie etwas Schwieriges geschafft haben, als Sie gemerkt haben, wo Sie etwas gut können und wie wichtig Sie für jemanden anders waren und sind. Erinnern Sie sich und erzählen Sie einander davon. Später nach dem Gottesdienst, heute Nachmittag oder morgen. Erzählen Sie sich von diesen erfüllenden Erfahrungen über sich selbst. Erzählen Sie zu Gottes Lob. Er hat Sie so wunderbar geschaffen. Denn, so haben wir zu Beginn im Psalm gebetet: Was ist der Mensch, dass Du seiner gedenkst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Herrlichkeit und Ehre hast Du ihn gekrönt.“ Jeden und jede von uns. Nur wer seine eigene Größe kennt, kann großzügig mit den Schwächen anderer umgehen, kann einander annehmen, wie Christus uns angenommen hat zu Gottes Lob.

Amen

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, stärke unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen

Claudia Kuchenbauer